Ziemlich genau vier Jahre ist es her, seitdem ich den drei jungen Rebellen von Is Tropical in Köln gegenüber saß. Ihre Gesichter in Tücher gehüllt beantworteten sie meine Fragen. ‘Wasted sein’ war en vogue und die Jungs trugen ihren Teil zu diesem Trend bei.
Vier Jahre später hat die Band ein weiteres Album und zig Singles veröffentlicht, ihr Label gewechselt und Musik auf über vier Kontinenten aufgenommen. Ausgerechnet im sonst biederen Programm des Essener Straßenfestivals “Essen Original” stoße ich auf ihren Namen. Mir gefällt die Idee eines Wiedersehens und so arrangiere ich ein Treffen.
Nach ihrem Auftritt auf der Bühne am Weberplatz treffen wir uns in einem versifften Park um die Ecke wieder. Gary und Simon erinnern sich an mich, aber nicht mehr so recht, bei welchem Auftritt wir uns erstmals begegneten.
IS TROPICAL BEI UNSEREM ERSTEN TREFFEN 2011
Damals haben wir uns im Gebäude 9 in Köln getroffen, bei eurer ersten Tour durch Deutschland: Ihr gerade frisch im Hype und wir frisch im Interviewbusiness. Als wir im Vorraum das Interview gemacht haben, hat gerade die Vorband ihren Soundcheck gemacht. Man hat hinterher nichts mehr auf der Aufnahme gehört und wir konnten das Interview nicht verwenden.
Simon: Fuck! Das passiert aber vielen. Du hättest auch einfach irgendwas schreiben können. Du hast unsere Erlaubnis! Aber das war an einem Sonntag oder Montag, oder? Auf jeden Fall verdammt lang her. Erstes Album. Wir haben enttäuscht, oder? Sind dem Hype nicht gerecht geworden.
An dem Abend wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Das lag aber wahrscheinlich eher daran, dass ihr unter der Woche gespielt habt.
Simon: Oder an der Jahreszeit. Nein, es hat uns auch einfach nicht interessiert. Wir wollten eigentlich nüchtern bleiben an dem Abend … War das nicht irgendwo in einer Bar, wo man eine Treppe runtergehen musste?
Keine Treppe. Ein altes Fabrikgelände. Das haben sie vor einem Jahr fast geschlossen. Die Stadt wollte dort ein Wohn- und Bürokomplex errichten. Doch die Kreativen haben sich gewehrt und es konnte gerettet werden.
Gary: So ist es doch immer. Sie versuchen das in London auch. Soho hat fast alle Live-Venues verloren und das Gleiche versuchen sie mit East London auch. Weil die Leute die dort hingezogen sind sich beschweren. Sie ziehen an einen Ort, von dem sie wissen, dass dort viel passiert. Und dann beschweren sie sich. Ich denke mir immer: Du wusstest verdammt noch mal wo du hinziehst. Warum beschwerst du dich jetzt?
Simon: London wird immer mehr ein Platz für Millionäre. Aber reiche Leute schaffen keine Kultur – sie zerstören sie. Und deswegen geht London unter. Eine Menge Leute kann es sich nicht mehr leisten, in London zu wohnen und deswegen ziehen sie weg – viele nach Berlin.
Die Reichen folgen den Kreativen und dann steigen die Mieten, bis die Kreativen es sich nicht mehr leisten können und umziehen müssen. Dann folgen die Reichen wieder den Kreativen und das Spiel beginnt von vorn.
Gary: Ganz schön abgefucked. Und wie ist es in Essen?
Das Problem in Essen ist, dass es in der Nähe von Köln liegt. Jeder der Bands sehen möchte, fährt nach Köln. Und so gut wie keine Band macht einen Abstecher nach Essen. Es gibt höchstens ein oder zwei wirklich gute Venues für Konzerte – dann gibt es noch Kay Shanghai und den Goethebunker – das war’s.
Gary: Wie weit ist es nach Köln?
Eine Stunde.
Gary: Wir sind zuletzt durch halb Europa geflogen. Gerade ist Festivalsaison. Wir waren viel in Spanien und in Italien. Normalerweise fährst du mit dem Van und bist in vier Stunden beim nächsten Gig. Aber in letzter Zeit sind wir viel geflogen. Vor zwei Tagen haben wir in Spanien gespielt. Es hat sechs Stunden gedauert: Zum Flughafen hin, dann warten, ins Flugzeug, landen, warten bis man abgeholt wird, die Show spielen und dann das gleiche Spiel. Es ist verdammt anstrengend. Ich habe lieber einen Van, wo ich die ganze Zeit schlafen kann.
Simon: Ich hätte gestern nüchtern bleiben sollen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern wie ich ins Flugzeug gestiegen bin.
Ist euch eigentlich aufgefallen, dass ihr mit einem Wahlauto der CDU, einer konservativen Partei, hergefahren wurdet?
Simon: Wir wussten, dass es ein Wahlkampfauto ist aber nicht, wofür die Partei steht. Aber konservativ ist ja eigentlich alles, wofür wir nicht stehen. Aber der Typ der uns hergefahren hat wird niemals von der Polizei kontrolliert. Anstatt mit uns die regulären Straßen zur Bühne zu fahren, ist er einfach mitten durch die Stadt gerast. Dann hat uns die Polizei doch angehalten. Er hat das Fenster aufgemacht und ‚Sorry‘ gesagt – das reichte den Polizisten auch schon. Dieser Typ auf dem Wagen kandidiert also?
Er ist einer der Oberbürgermeister-Kandidaten für Essen. Aber wie fast alle Kandidaten die zur Wahl stehen, unterscheidet sich sein Wahlprogramm kaum von dem der Anderen.
Simon: Wir haben die selbe Situation in London. Die Regierung ist jetzt konservativ und es ist ziemlich schlimm. Aber es gibt da einen Sozialisten der Labour-Partei, Jeremy Corbyn*. Er macht schon seit den 80er Jahren die „Richtigen Sachen“ aber ihn kannte einfach niemand. Jetzt wird er zunehmend bekannter. Er ist gegen diese ganze Privatisierung in London und für mehr Frauenrechte. Er macht diese ganzen coolen Sachen und die Medien, die vor allem von reichen Menschen geführt werden, versuchen ihn mit Schmutzkampagnen zu diskreditieren. Aber es gibt einfach nichts, was sie ihm anhängen können. Also versuchen sie es mit wirklich skurrilen Sachen wie etwa: „Hey, guckt mal welchen Anzug er trägt. Der ist aus den 80ern. Guckt euch diesen braunen Anzug an.“
Bei uns gibt es auch eine große sozialistische Partei, aber ohne dass sie wirklich sozialistisch wäre. Momentan strömen hunderttausende Menschen, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten, auf Grund von Krieg oder Verfolgung, nach Europa und nach Deutschland. Aber diese Massen sind gar nicht das echte Problem. Ein größeres Problem in Deutschland ist das Aufbegehren von fremdenfeindlichen Gruppen. Und plötzlich schweigen sich die großen Politiker aus.
Simon: Das ist auch eine große Sache in England. Aber das Verrückte ist doch, was man den Menschen in Europa klarmachen sollte, dass diese Menschen deswegen aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil wir dort Kriege angezettelt haben. Wir haben es verkackt und übernehmen jetzt keine Verantwortung.
Gary: Sie sagen auch sie hätten kein Geld, um den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zu finanzieren. Aber auf der anderen Seite haben sie das Geld um Grenzzäune zu errichten und Spürhunde. Wir haben das Scheißgeld aber benutzen es für die falschen Sachen. Schickt Boote und rettet die Flüchtlinge.
Nicht zu vergessen, dass Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur diese Kriege aktiv unterstützt.
In England ist es genau das Selbe. Überall ist es die selbe Scheiße. Es ist einfach nur traurig. Hier klicken zum weiterlesen!